Friedensnobelpreis 1930: Nathan Söderblom

Friedensnobelpreis 1930: Nathan Söderblom
Friedensnobelpreis 1930: Nathan Söderblom
 
Der schwedische Theologe erhielt den Nobelpreis für bahnbrechende Leistungen auf dem Gebiet der Ökumene und seine ständigen Bemühungen um Frieden und soziale Gerechtigkeit.
 
 
Nathan (eigentlich Lars Olof Jonathan) Söderblom, * Trönö (Verwaltungsbezirk Gävleborg) 15. 1. 1866, ✝ Uppsala 12. 7. 1931; schwedischer Religionswissenschaftler und Kirchenführer, 1883-92 Studium der Philologie und Theologie an der Universität Uppsala, 1893 Berufung zum Pfarrer, 1894-1901 Seelsorger der schwedischen Gemeinde in Paris und Seemannspfarrer, 1901 Promotion und Berufung als Professor an die Universität Uppsala, ab 1914 Erzbischof von Uppsala und Primas der schwedischen Staatskirche, 1925 Initiator der »Weltkonferenz für Praktisches Christentum« in Stockholm.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Konflikte haben nicht selten religiöse Ursachen; in der Geschichte sind folglich immer wieder »heilige Kriege« geführt worden, zwischen den Anhängern verschiedener Weltreligionen, aber auch wie beim Dreißigjährigen Krieg zwischen den verschiedenen Konfessionen einer großen Glaubensgemeinschaft. Ein wichtiger Weg zur Sicherung des Friedens besteht deshalb darin, Spannungen zwischen Religionen und Konfessionen abzubauen, Brücken zwischen den Glaubensgemeinschaften zu schlagen, eingefleischte Vorurteile auszuräumen und sich auf gemeinsame Werte und Ziele zu besinnen. Diesen Aufgaben hat sich Nathan Söderblom ein Leben lang unermüdlich gewidmet — als Religionswissenschaftler, der das Wesen des Christentums und die Eigenarten fremder Religionen untersuchte, ebenso wie als einer der Wegbereiter der modernen ökumenischen Bewegung.
 
Wie in anderen Weltreligionen gibt es im Christentum auf der einen Seite von jeher Tendenzen zur Spaltung in Konfessionen, Kirchen oder Sekten, auf der anderen jedoch auch Bewegungen, die eine weltweite Zusammenarbeit und Einigung der christlichen Glaubensgemeinschaften anstreben. Die heutige ökumenische Bewegung zur Überwindung konfessioneller Schranken hat sich im Wesentlichen seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt, vor allem innerhalb der protestantischen Kirchen, in denen bald über die Bekenntnis- und Staatsgrenzen hinweg Vereinigungen wie der Christliche Verein Junger Männer (CVJM) oder der Christliche Studentenweltbund entstanden. Später schlossen sich die orthodoxen Kirchen an, und seit dem 2. Vatikanischen Konzil nimmt auch die katholische Kirche — nach langem Zögern — am ökumenischen Dialog teil. Viele Punkte sind innerhalb der Ökumene noch umstritten, doch im Bereich Friedensarbeit arbeiten die Kirchen eng zusammen.
 
 Praktisches Christentum
 
In seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises an Nathan Söderblom ging der Sprecher des Nobelpreiskomitees mit den christlichen Kirchen hart ins Gericht, religiösen Gemeinschaften, deren höchstes Gebot die Nächstenliebe ist, und die Jesus Christus, die zentrale Gestalt des Christentums, als »Friedensfürsten« verehren. Innerhalb der Friedensbewegung und in der Liste der Friedensnobelpreisträger spiegelte sich die gewissermaßen ureigenste Rolle der christlichen Kirchen bis 1930 allerdings kaum wider: Zu den Preisträgern gehörten bis dahin zahlreiche Politiker, Juristen und Schriftsteller, aber keine Kirchenführer, und während die weltlichen Pazifisten forderten »Die Waffen nieder!«, wurden eben diese Waffen im Ersten Weltkrieg (wie in den vorangegangenen Kriegen) von kirchlichen Würdenträgern gesegnet.
 
Nathan Söderblom war der erste Vertreter der christlichen Kirchen, der den Friedensnobelpreis erhielt. Und er brachte als Primas der schwedischen Staatskirche erstmals eine Kirche als bedeutende Institution in die Friedensbewegung mit ein. Sein Engagement für den Frieden hatte dabei zum einen persönliche, zum andern aber auch wissenschaftliche Motive. Er war davon überzeugt, dass die Sicherung des sozialen Friedens zu den wichtigsten Aufgaben der christlichen Kirchen gehöre. Diese Überzeugung formulierte er in zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen, wie beispielsweise in der Rede, die er beim Stockholmer Religionswissenschaftlichen Kongress 1897 über das Thema »Die Religion und die soziale Entwicklung« hielt. Söderblom begnügte sich jedoch nicht nur mit theoretischen Erörterungen, sondern leistete selbst tatkräftig Hilfe, etwa während seiner Dienstzeit in Paris, als er sich fürsorglich um einen kranken und mittellosen Landsmann, den Schriftsteller Johan August Strindberg, kümmerte. Gerade die Sozialarbeit unter den Mitgliedern der schwedischen Gemeinde in Paris und unter den skandinavischen Seeleuten in den Häfen an der französischen Atlantikküste bestärkten ihn in der Auffassung, dass für den »praktischen Christen« die richtige Tat genauso wichtig war wie der richtige Glauben.
 
 Gemeinsamkeit in der Vielfalt
 
Die Ideen der ökumenischen Bewegung hatte Nathan Söderblom bereits als Student kennen gelernt; durch seine religionsgeschichtlichen Studien, die er in Paris begann und an den Universitäten von Uppsala und Leipzig fortsetzte, erhielten diese Ideen für ihn jetzt ein solides wissenschaftliches Fundament. Bei den Forschungen, die ihn durch alle Kulturerdteile führten und deren Ergebnisse er unter anderem in dem Buch »Der Ursprung des Gottesglaubens — Untersuchungen über die Anfänge der Religion« (1914) erläuterte, kam Söderblom nämlich zu dem Schluss, dass sich in den verschiedenen religiösen Strömungen Gott lediglich auf verschiedene Weise offenbare und dass daher im Prinzip alle Religionen, Kirchen und Konfessionen gleichwertig seien, es also keine einzige »wahre Lehre« geben könne. Eine solche Auffassung ebnet natürlich den Weg zur Aussöhnung zwischen den Religionen und Völkern und erleichtert die Friedensarbeit, weil sie die Gemeinsamkeiten betont.
 
In dem Jahr, in dem das Buch erschien, brach der Erste Weltkrieg aus. Die Friedensappelle, die Nathan Söderblom wiederholt an die Kriegsparteien richtete, fanden kein Gehör, und die Arbeit der Friedensbewegung wurde weit zurückgeworfen. Erst nach Kriegsende kam die christliche Verständigung wieder in Gang, angetrieben durch Söderbloms Buch »Einigung der Christenheit — Tatgemeinschaft der Kirchen aus dem Geist werktätiger Liebe« und durch die »Weltkonferenz für Praktisches Christentum«, mit der im August 1925 Söderbloms Lebenswerk in Stockholm gekrönt und ein Meilenstein für die ökumenische Bewegung gesetzt wurde.
 
Sein Vorschlag zu einem ökumenischen Kirchenrat führte mehr als 20 Jahre später über eine Reihe von Konferenzen im August 1948 zur Gründung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK). Er wird auch Weltkirchenrat, »World Council of Churches« (WCC) genannt. Dieser Organisation gehören heute 337 anglikanische, lutheranische, orthodoxe, reformierte und unabhängige Kirchen aus über 120 Ländern an.
 
Neben seinem Hauptziel, die Schranken zwischen den christlichen Kirchen zu überwinden, betreibt der Ökumenische Rat der Kirchen auch eine aktive Friedenspolitik. So wird derzeit im Rahmen der »Dekade zur Überwindung von Gewalt« (DOV) versucht, die »Mikroabrüstung«, das heißt die Vernichtung kleiner Schusswaffen wie Pistolen und Gewehre, voranzubringen. Ein anderer Schwerpunkt ist die Verbesserung der Beziehungen zwischen dem Christentum und den anderen Religionen.
 
P. Göbel

Universal-Lexikon. 2012.

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